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Das Lostorfer Gemeindemagazin

Wenn die Spielsachen in die Ferien fahren …

Möbel, Tische und Stühle werden gerückt, Tücher mit Seilen und Wäscheklammern gespannt. Es entstehen Burgen,  Katzenhäuser, Haifischbecken und Verkaufsstände. Der Stuhl wird zum Rennauto, die Seile werden zu Schnecken und  die Wäscheklammern zu Raketen …

Spielzeuge wie Puppen, Verkaufsladen, Autos oder Knete sucht man im Kindergarten Dreirosen bis zu den Frühlingsferien ohne Erfolg. Nach den Weihnachtsferien startete das Projekt «Spielzeugfreier Kindergarten», welches vor rund 20 Jahren von der Suchtprävention des Kantons Aargau ins Leben gerufen wurde und nun auch in diversen anderen Kantonen durchgeführt wird. 

Zu Beginn wurde gemeinsam mit den Kindern darüber abgestimmt, welche Spielzeuge zuerst «in die Ferien fahren» dürfen. Die Regale und Schränke wurden immer etwas leerer, bis Ende der ersten Projektwoche alle Spielsachen verstaut waren. Nach und nach kamen Tücher, Kissen, Matratzen, Seile und Klämmerli dazu.

Der gewohnte Kindergartenalltag, mit Ritualen wie Morgenkreis, gemeinsamem Znüniessen und gemeinsamen Aktivitäten, wie zum Beispiel das Malen und Basteln, fallen für diese Zeit weg. Die Kindergartenlehrpersonen übernehmen weniger die leitende Rolle, sondern beobachten und stehen den Kindern unterstützend zur Seite. 

Die Kinder erhalten so die Möglichkeit, ihren Tag selbst zu strukturieren. Beispielsweise indem sie bestimmen können, mit wem, wo und wie lange sie etwas spielen wollen oder auch, wann sie Znüni essen wollen.  

Niemand sagt ihnen, was sie spielen oder tun sollen. Alles wird von ihren eigenen Impulsen kreiert, weiterentwickelt oder geändert. Es gelten weiterhin Regeln, die es braucht, damit die Sicherheit gewährleistet ist. Alles andere wird gemeinsam diskutiert, verhandelt, eingeführt und umgesetzt. 

Um darin einen gemeinsamen Weg zu finden, gibt es eine Glocke, mit der geklingelt und zur Versammlung und Besprechung rund um den so gennannten «blauen Stuhl» gerufen werden darf. Auf dem blauen Stuhl können die Kinder ihre Probleme vorstellen. Gemeinsam werden Lösungen für die jeweilige Situationen gesucht. Dabei kommen manchmal auch sehr unkonventionelle Lösungen zum Vorschein. 

Die neu gewonnene Freiheit ist für viele Kinder zu Beginn eine Herausforderung und braucht einige Zeit zur Neuorientierung. Während dieser Zeit liegt der Fokus auf den zwischenmenschlichen/sozialen, persönlichen Fähigkeiten. Die Kinder erhalten die Möglichkeit, ihre Lebenskompetenzen aufzubauen und weiterzuentwickeln. So zum Beispiel:

  • Sich selbst kennen und mögen: lernen die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, diesen nachzugehen.
  • Sich in andere hinein fühlen: Kompromisse finden und Verhandeln, eigenes Verhalten reflektieren
  • Kritisch und kreativ denken
  • Erfolgreich kommunizieren: Verhandeln, Ideen und Vorschlagen prüfen und annehmen
  • Beziehungen gestalten: Mit wem spiele ich? 
  • Entscheidungen treffen: Was spielen wir?
  • Problem lösen: Konfliktsituationen, Strategien für Lösungen finden
  • Mit Gefühlen umgehen: Freude und Begeisterung auch Langeweile, Ängste, Zorn, Ärger, Neid erkennen oder damit umgehen können
  • Stress bewältigen

Zu einem spielzeugfreien Kindergartenmorgen gehört auch die Reflektionsrunderunde am Schluss des Morgens. Die Kinder bringen sich ein, reflektieren den Morgen und sprechen darüber, wie es ihnen ergangen ist und versuchen, dies in Worte zu fassen. Sich über das Erlebte austauschen und bewusst wahrnehmen ist ein zentraler und wichtiger Punkt.

Diese spielzeugfreie Zeit ist sowohl für die Kinder als auch für die Lehrpersonen eine intensive, aber sehr wertvolle Erfahrung. Bleiben wir neugierig und gespannt, was wir noch alles gemeinsam erleben dürfen.

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